Und noch mehr Gegensaetze – und was fuer welche!

Wir sind immer noch in Arguineguin. Irgendwie gefaellt es uns hier. Eigentlich ueberraschend fuer Grand Canaria. Was wir bisher gesehen haben ist alles andere als berauschend. Es hat einfach nichts Ansprechendes. Ueberall aufgerissene Wunden, die nicht mehr geschlossen werden. Dazwischen riesige Hotels und ein paar Straende. Wir scheinen in einer Skandinavierhochburg mit Schwergewicht auf Norwegern gelandet zu sein. Das ist aber nicht unangenehm. Arguineguin steht da irgendwie dazwischen. Ein ehemals wohl kleines Fischerdorf, das nun umring von Ferienanlagen liegt. Selber scheint es aber eine Art Vakuum entwickelt zu haben, trotz der Touristen und Hotels, die es auch hier gibt. Marina gibt es keine, nur ein Fischerhafen. Ankern koennen wir in der Einfahrt, nur wenige Boote tun es uns gleich. Am Tage nach der Ankunft hat sich dann aber doch noch etwas ereignet, das das Geschreibe vom letzten Eintrag ueber Gegensaetze als Laecherlich erscheinen laesst. Wir waren gerade dabei, unseren ersten gemeinsamen Ausflug im Banana-Boat mit Segeln abzuschliessen. Wir waren an den nahe gelegenen Hotelburgen und Badestraenden vorbeigefahren und hatten uns die vielen – mittlerweile meist motorisierten – Bade- und Vergnuegungsmoeglichkeiten zu Wasser angeschaut. Nach einigem Gekreuze zurueck zu unserem Schiff sahen wir, dass ein Search and Rescue (SAR) Boot auslief. Wir scherzten, das koennte ja wieder fuer uns sein, wie schon einmal in Kiel, als wir auf eine Sandbank vor Laboe aufgelaufen waren und deren Hilfe beanspruchten. Dann sahen wir, dass auf dem Anleger ein Zelt mit Rotkreuz-Emblem aufgebaut war. Wahrscheinlich der lokale Blutspendetag oder eine Infoveranstaltung? Ploetzlich waren da mehr als ein Zelt am Anleger und einige Ambulanzen. Wahrscheinlich ein Schiff in Seennot, dessen Rettung nun vorbereitet wurde? Als wir aufs Meer hinaus schauten wurde klar, worum es ging: Das SAR-Boot, zusammen mit dem Boot der Guardia Civil – Ihr erinnert Euch, die hatten uns wohl auch schon auf unsere Hautfarbe geprueft – hatte ein anderes Boot laengsseits genommen und kam langsam naeher. Das Boot war voll mit Menschen. Afrikaner auf der Ueberfahrt vom nahen Kontinent. Noch am selben Tag hatten wir in einer spanischen Zeitung ueber die Situation im mauretanischen Nuadibou gelesen, wo wir vor Jahren mit dem Rad gelandet waren. Heute ist das DIE Anlaufstation fuer alle, die die Ueberfahrt wagen wollen und bezahlen koennen. 600 bis 1000 Euro soll jeder hinblaettern. Fuer eine Fahrt, die auch mal mit dem Tod enden kann. Darueber lesen ist das eine, es dann ploetzlich mit eigenen Augen sehen, ist etwas anderes. Mitten in einer Gegend,in denen sich alles um Vergnuegen und Erhohlung dreht, kommt ein Boot an mit 40 bis 50 Menschen auf der Suche nach dem Glueck oder wohl eher einfach nur nach einer oekonomischen Ueberlebensmoeglichkeit. Jeder einzelne die Hoffnung seiner Familie, die zusammengelegt hat, damit der Auserwaehlte – es befanden sich praktisch nur Maenner an Bord – eines Tages Geld nach Hause schicken koenne. Und nun waren sie da. Hatten einen ersten Schritt in ein neues Leben getan. Wir waren emotional hin und her gerissen zwischen Freude darueber, dass sie es ueberlebt hatten und der Betroffenheit, Menschen auf der Flucht von zu Hause zu sehen. Und das Ganze gleich neben uns Yachties, die wir uns einen kleinen Traum erfuellt haben und es uns gut gehen liessen. Dann kommen immer mehr Urlauber auf ihren Jetskis dazu, die gehoert haben muessen, dass es da etwas zu sehen gibt. Auch der Skipper der September beobachtet das Geschehen durchs Fernglas. Und sieht die Beamten in Schutzanzuegen, Handschuhen und Gesichtsmasken, die nun die Bergung organisieren muessen. Keine einfache Aufgabe. Zuerst werden die Fluechtlinge angehalten, Ruhe zu bewahren. Verbal (tranquilo, tranquilo!) und entsprechenden Handbewegungen. Dann werden die ersten aus dem Boot und ueber das SAR-Schiff an Land geleitet, wo sie dann von den Rotkreuz-Helfern in Empfang genommen werden. Die meisten koennen noch selber laufen, einige bekommen einen Rollstuhl. Am Schluss dann schauen einige Gesichter ins mittlerweile fast leere Boot hinunter. Bahren werden herangetragen. Unten lagen wohl noch die Schwaecheren, die nun als letzte herausgehievt werden. Spaeter sehen wir zumindest einen davon wieder selber humpeln. Ambulanz ist keine davongefahren. Das Fernsehen und andere Medien sind natuerlich auch dabei. Obwohl das hier ja oft passiert, scheint es doch noch einen Ereignischarakter zu haben. Spaeter sitzen die Afrikaner dann – untersucht, verpflegt und neu eingekleidet – am Boden und erhalten wohl die ersten Instruktionen. Ein Reisebus ist mittlerweile eingetroffen. Spaeter am Abend – wir sind in einem Restaurant am Nachtessen – faehrt der Bus mit den Boatpeople vorbei. Was bleibt ist das Boot. Es liegt immer noch an der Mole. Wurde mittlerweile geleert, gesaeubert und von vielen Neugierigen begutachtet. Es ist nicht das erste und nicht das letzte. Wir haben uns mit dieser Situation schon auseinandergesetzt. Denn in diesen Gewaessern kann es schon mal passieren, dass man einem solchen Boot begegnet. Was dann? Sollten sie sich in Seenot befinden, ist man zur Hilfeleistung verpflichtet. Aber wie macht man das? Etc., etc. Wir sind nun nicht schlauer. Haben einfach eine Situation erlebt, welche die krassen Gegensaetze, die es auf diesem Planeten gibt, gerdade fuer uns sehr plastisch vor Augen gefuert.
Gestern Ausflug nach Las Palmas. Grosseinkauf: eine Bordbatterie und ein Ankerwinsch-Relais. Alles gleich da, mitnahmebereit. Nicht schlecht. Vielleicht liegt sogar noch der Ersatz des verlorenen Ausbaumers drin? Mal sehen.

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Klaus Tischhauser
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